Was hat VUKA mit Stress und Beschleunigung zu tun?

Nachdem wir nun aus dem letzten Blogbeitrag wissen, wie unser Umgang mit der Zeit immer taktischer und effizienzorientierter wurde, beleuchten wir nun was die VUKA Welt mit Beschleunigung und dem Gefühl der Gehetztheit und Erschöpfung zu tun hat.

Der Begriff VUKA stammt vom amerikanischen Militär und beschreibt die Bedingungen des modernen Krieges, in dem es – im Gegensatz zu früher – keine klaren Frontlinien mit zwei sich gegenüberstehenden Heeren mehr gibt. Ähnliches erleben wir in unserer heutigen Arbeitswelt ­­– klare Strukturen, langfristig gleiche Bedingungen oder Sicherheit gehören der Vergangenheit an. Im folgenden Abschnitt möchte ich deshalb die einzelnen Dimensionen der VUKA Welt erläutern, wobei gesagt sein sollte, dass nicht alle Annahmen meine persönliche Meinung widerspiegeln. Die Tendenzen und genannten Studien sollen Ihnen lediglich helfen zu verstehen, warum eine VUKA Welt stetige Beschleunigung fördert.

Volatilität

Die erste Dimension der VUKA Welt bezieht sich auf deren Unberechenbarkeit und Unbeständigkeit. Immer wieder treten große und kleine Veränderungen ein, die für Unternehmen und jeden Einzelnen immer schwieriger zu antizipieren sind. Eine Studie der Boston Consulting Group hat dabei ergeben, dass sich turbulente Phasen, also solche mit hoher Volatilität, über die letzten 30 Jahre vervierfacht haben. Darüber hinaus hat sich die Volatilität der Firmen bezüglich Umsatz, Gewinn und Profitabilität verdoppelt, was sich besonders in den turbulenten Aktienmärkten widerspiegelt. Wir leben und arbeiten also in einer turbulenten Welt, die uns immer wieder vor neue Herausforderungen stellt.

Unsicherheit

Unsicherheit ist eine weitere Eigenschaften, die der VUKA Welt zugeschrieben wird. Diese findet sich sowohl auf Seiten der Arbeitnehmer als auch auf jener der Arbeitgeber, wobei wir uns in diesem Beitrag auf die Arbeitnehmer konzentrieren wollen. Bei den Arbeitnehmern betrifft es die Zukunft der Jobs. So gehen zum Beispiel die beiden Oxford-Professoren Carl Benedikt Frey und Michael A. Osborne davon aus, dass 47 Prozent der Arbeitsplätze in den USA durch die voranschreitende Automatisierung gefährdet sind.

Eine weitere auf dem Wirtschaftsforum in Davos vorgestellte Untersuchung nimmt an, dass die Digitalisierung in Zukunft 7 Millionen Arbeitsplätze überflüssig machen wird. Betroffen sind dabei weniger die Arbeitsplätze in Fabriken, welche schon bereits während der industriellen Revolution abgebaut wurden, sondern hauptsächlich Jobs in Büros und Verwaltungen. Dem gegenüber stehen jedoch nur zwei Millionen neue Stellen, die durch die Digitalisierung bis zum Jahr 2020 neu entstehen sollen.

Als relativ sichere Arbeitsstellen gelten Positionen, die vor allem menschliche Fähigkeiten wie Menschenkenntnis, Verhandlungsgeschick oder Überzeugungskraft benötigen. Alle diese Prognosen sind selbstverständlich mit Vorsicht zu genießen, da sich die Studien was die einzelnen Berufssparten betrifft oft widersprechen und es auch in der Vergangenheit bereits Prognosen gab, die den enormen Wegfall von Arbeitsplätzen prognostiziert haben, was sich aber schlussendlich nicht bewahrheitet hat. Wie genau und in welchem Ausmaß die Digitalisierung Arbeitsplätze fordern wird, wird sich erst in den nächsten Jahren genau bestimmen lassen, die Wahrscheinlichkeit, dass mehr Jobs wegfallen als neue geschaffen werden, ist jedoch ziemlich groß.

Ein Sachverhalt, der ebenfalls die Unsicherheit der Menschen schürt, sind prekäre Einkommensverhältnisse. Vor allem bei großen Playern wie Apple, Amazon oder Uber hat sich in den letzten Jahren ein ganz typisches Bild herauskristallisiert. Neue Berufsbilder, die mit der Digitalisierung aufgekommen sind, entstanden überwiegend an den beiden Extremen der Einkommensskala: Relativ wenige sehr gut bezahlte Datenwissenschaftler, Programmierer oder Start-up-Milliardäre stehen zahlreichen Logistikarbeitern, Fahrern & Co. gegenüber.

Schlechte Bezahlung, befristete Arbeitsverträge, wenig Aufstiegschancen und Stellenabbau führen zu Unsicherheit, die weitaus mehr belastet als harte Arbeit. Der Zeitforscher Harmut Rosa sagt dazu: „Solange die Menschen das Gefühl haben, sie bewegen sich aufwärts, ist Anstrengung kein Problem. Doch die Menschen haben heute das Gefühl, dass sie immer schneller laufen müssen, nur um ihren Platz zu halten“

Komplexität

Im Harvard Business Manager war vor einiger Zeit zu lesen, dass wir heutzutage, wenn wir Entscheidungen treffen, wesentlich mehr Variablen in Betracht ziehen müssen. Man denke nur mal an die Bestellung bei Starbucks. Während man früher einen Kaffee mit oder ohne Milch bestellen konnte, muss man heute wissen welche Bechergröße, Kaffeebohnen, Geschmacksrichtung und so weiter man haben möchte.

Dieses Betrachten verschiedener Variablen nennt sich Detailkomplexität. Auch für Unternehmen ist es durch zahlreiche Einflussvariablen und Verzahnungen heute deutlich schwieriger Entscheidungen zu treffen. So müssen neben den eigenen Interessen zum Beispiel auch gesellschaftliche, politische oder ökologische Entwicklungen einbezogen werden. Zusätzlich werden auch die Wünsche der Kunden immer komplexer und können schneller an das Unternehmen herangetragen werde. Viele Firmen reagieren bereits darauf und beziehen ihre Kunden immer häufiger in den Entwicklungsprozess von neuen Produkten mit ein und legen vermehrt Wert auf deren Feedback.

Ambivalenz

Die letzte Dimension der VUKA Welt ist die Ambivalenz. Dieser Begriff beschreibt die Mehrdeutigkeit einer Situation oder Information. Vor allem Führungskräfte stehen oft vor Entscheidungen, die keine eindeutige Antwort zulassen. Zentralisierung oder lieber die dezentrale Einheiten stärken? Das Kerngeschäft weiter ausbauen oder in neue Märkte investieren?

Aus der Führungsforschung weiß man, dass die Ambiguitätstoleranz, also das Aushalten von Gegensätzen, einer der stärksten Prädiktoren für Führungserfolg ist. Um unsere anspruchsvolle Zukunft zu meistern sollten wir uns also vom Mythos der Eindeutigkeit verabschieden. Dies bedeutet mit voller Bewusstheit eine Entscheidung zu treffen und gleichzeitig nicht an dieser zu hängen, sondern stets die Veränderung der Rahmenbedingungen zu prüfen.

Fazit: VUKA und das Gefühl der Gehetztheit und Erschöpfung

Den Begriff VUKA Welt haben wir damit im Detail kennengelernt und Wissen über die einzelnen Dimensionen gesammelt. Doch wie genau trägt die VUKA Welt nun unserem subjektiven Gefühl der Beschleunigung und Gehetztheit bei? Im Wesentlichen lassen sich dazu drei Schlussfolgerungen ziehen.

Durch zahlreiche Veränderungen sind wir ständig gefordert uns anzupassen, unsere Fähigkeiten zu erneuern und letztlich möglichst schnell Entscheidungen für komplexe und ambivalente Situationen zu treffen. Diese Entscheidungen sind allerdings immer komplexer, die Aneignung von komplexen Fähigkeiten dauert immer länger und somit benötigen wir hierfür eigentlich sogar noch mehr Zeit als früher. Wir befinden uns somit in einem Zwiespalt: Die Rahmenbedingungen fordern immer schneller zu handeln, um diese Rahmenbedingungen jedoch bedienen zu können oder wirklich kognitiv zu durchdringen, brauchen wir Zeit. Dieser Zwiespalt reibt auf Dauer auf und führt zu Stress.

Zweitens haben wir durch die zunehmende Einkommens- und Jobunsicherheit das Gefühl mehr leisten zu müssen mit gleichzeitig immer größerer Ungewissheit ob sich das auch wirklich lohnt. Beispielsweise im Sinne eines Aufstiegs, zunehmender Sicherheit oder eines besseren Lebens. Dieser fehlende Zielhorizont ermüdet uns auf Dauer. Gleichzeitig schwebt durch die Digitalisierung ständig das Damoklesschwert des Jobverlustes über uns. Und wie versuchen wir uns davor zu schützen? Indem wir versuchen immer besser und schneller zu werden, um wenigsten als Letzter betroffen zu sein.

Der letzte Punkt bezieht sich auf ein Gefühl der Gehetztheit, das uns durch Unternehmen vermittelt wird. In einer VUKA Welt ist es ein absoluter Wettbewerbsvorteil der Erste zu sein, denn so kann sich das Unternehmen zumindest für einen kleinen Augenblick Stabilität sichern. Leider sind Unternehmen nur so schnell wie ihre Mitarbeiter, weswegen auch sie sich oft diesem Druck und dem Tempo anschließen. So ist bspw. das neue Projekt noch nicht mal großflächig ausgerollt, da arbeitet man bereits am übernächsten großen „Ding“, das jenes Projekt als disruptive Innovation vom Markt fegen soll. So kommt es selten zu Phasen des Durchatmens und des „Erfolge feiern“.

Im letzten Teil unserer Trilogie „Beschleunigung verstehen“ betrachten wir, wie wir als Gesellschaft, aber auch jeder Einzelne zur Beschleunigung beiträgt. Und jetzt erstmal: Durchatmen und entspannen ;-).