Alle Jahre wieder: Kommt das Jahresgespräch. Derzeit erlebe ich viele Führungskräfte in meinen Workshops zur Gestaltung optimaler Jahresgespräche frustriert. Sie stöhnen unter dem immensen Workload, den diese Gespräche manchmal verursachen. Dabei ist ein Jahresgespräch weit mehr als ein Pflichttermin im Kalender – es ist eine strategische Gelegenheit, hilfreiche Ziele zu setzen, Erwartungen zu klären und langfristig Beziehungen zu stärken. Doch meistens sind sie nicht gut gemacht und bleiben deutlich unter diesem Potenzial. Dieser Artikel zeigt dir hilfreiche und neuartige Tipps, wie du ein exzellentes Jahresgespräch führen kannst. Denn Jahresgespräche sind wie ein guter Wein - sie brauchen Zeit, Vorbereitung und die richtige Atmosphäre, um ihr volles Potenzial zu entfalten. Und etwas Demut auf Seiten der Führungskraft.

Image
Foto © Tima Miroshnichenko auf Pexels

Jeder hat Biases. Du auch!


Im Jahresgespräch wird Leistung bewertet. Evaluation unterliegt immer Verzerrung. Ja, auch bei dir! Auch erfahrene Führungskräfte sind nicht vor kognitiven Verzerrungen gefeit. Drei klassische Denkfehler, die du im Jahresgespräch unbedingt vermeiden solltest:

  1. Recency Bias: Oft werden die letzten Wochen oder Monate überbewertet, während länger zurückliegende Erfolge oder Herausforderungen in Vergessenheit geraten. Lösung: Nutze Daten und Berichte, die das gesamte Jahr abdecken, um eine ausgewogene Perspektive einzunehmen.
  2. Halo-Effekt: Eine herausragende Leistung oder ein großer Fehler kann den Gesamteindruck unverhältnismäßig beeinflussen. Lösung: Trenne einzelne Ereignisse von der Gesamtbewertung und analysiere ganzheitlich.
  3. Confirmation Bias: Wir tendieren dazu, Informationen zu suchen, die unsere vorgefasste Meinung bestätigen. Lösung: Stelle gezielt Fragen, die deine Einstellung zur Jahresleistung des Mitarbeitenden hinterfragen, und lade zu ehrlichem Feedback ein.

Doch nicht nur du hast Biases, auch auf die Biases deiner Mitarbeitenden darfst du dich schon mal einstellen:

  1. Self-Serving Bias: Mitarbeitende neigen dazu, Erfolge sich selbst und Misserfolge äußeren Umständen zuzuschreiben. Lösung: Ermutige zu einer ausgewogenen Selbstreflexion gemäß der Attributionstheorie (internal/external und stabil/instabil).
  2. Dunning-Kruger-Effekt: Weniger kompetente Mitarbeitende überschätzen ihre Fähigkeiten oft. Lösung: Nutze objektive Leistungsindikatoren (KPIs sowie klare Beobachtungspunkte) als Gesprächsgrundlage. Hier hilft häufig auch die "Definition of Not Enough, Done und Great" genau zu definieren und aufzuzeigen, warum die Leistung solide aber nicht herausragend ist.
  3. Imposter-Syndrom: Hochleistende Mitarbeitende zweifeln manchmal an ihren Fähigkeiten. In einem meiner letzten Workshops erzählte mir eine Teilnehmerin, wie ihr Mitarbeiter jedes positive Feedback als 'nicht ernst gemeint' abtat, während er kleinste Kritikpunkte als vernichtende Wahrheit interpretierte. Lösung: Betone konkrete Erfolge und deren Auswirkungen und fokussiere auf die Ressourcen und Talente, die diese Person aus den Augen verliert. Beachte auch, dass Kritik nicht überbewertet wird.

Das gute Jahresgespräch beginnt vor dem Jahresgespräch!


In einem Workshop fragte mich eine Führungskraft verzweifelt: „Wie soll ich mich an alles erinnern, was meine 15 Mitarbeitenden das Jahr über geleistet haben?" Meine Antwort: „Du musst dich gar nicht an alles erinnern – du musst es nur regelmäßig aufschreiben." Ein effektives Jahresgespräch beginnt nicht am Tag des Gesprächs, sondern über das ganze Jahr hinweg:

  • Führe ein „Performance-Logbuch" für jeden Mitarbeitenden.
  • Notiere regelmäßig konkrete Leistungen, Herausforderungen und Entwicklungen.
  • Sammle Feedback von Kolleg:innen und Kund:innen das ganze Jahr über. Mach dabei auch klar, dass du dieses Feedback gerne im Jahresgespräch nutzen möchtest.

Kleiner Kulturtipp: Ermuntere dein Team, sich gegenseitig aktiv Feedback zu geben, beispielsweise nach Projektabschlüssen. So kreierst du eine offene Leistungskultur und das Beleuchten von High- und Lowperformance wird stetiger Diskurs.

Gute Jahresgespräche brauchen also eine gute Vorbereitung. Und ein gutes Setting. 90 Minuten sind mindestens anzusetzen. Aus meiner Erfahrung macht es jedoch Sinn, durchaus 2-3 Stunden zu planen. So hast du genug Zeit, auch vertieft in Themen einzusteigen oder beispielsweise zur Auflockerung auch mal gemeinsam einen Kaffee zu holen. Solltest du früher fertig werden: Klasse! Aber nichts ist schlimmer als ein Jahresgespräch, das hektisch unter Zeitdruck durchgeführt werden muss.

Weniger ist mehr!


Letzte Woche coachte ich eine Führungskraft, die verzweifelt versuchte, 84 Kompetenzkriterien in einem 90-minütigen Gespräch abzuarbeiten. "Das kann nicht funktionieren. Nicht du musst dem Tool dienen, das Tool muss dir dienen", war meine klare Antwort. Bitte vermeide den "PowerPoint-Tod", bei dem du endlose Folien mit Kompetenzbewertungen durchgehst, ebenso wie die "Excel-Falle", bei der du jedes einzelne KPI durchkaust, als wärst du ein Wirtschaftsprüfer.

Egal ob du eine Kompetenzmatrix, einen Stärkenkatalog oder eine Heuristik wie "Start, Continue, Stop" nutzt, es geht vor allem darum, ein gemeinsames und motivierendes Verständnis zwischen dir und dem Mitarbeitenden bezüglich des letzten Jahres und des neuen Jahres zu etablieren. Und hier ist weniger mehr. Fokussiere dich auf die Kompetenzen, die für die Rolle des Mitarbeitenden wichtig sind. Bei einem juniorigen Kollegen musst du vielleicht viel mehr über Fachwissen sprechen, bei einem Senior über unternehmerisches Denken und Handeln. Frage dich: Was braucht er oder sie wirklich, um einen guten Job zu machen.

Mal ganz simpel: Welche 5-7 Hauptbotschaften möchtest du deinem Mitarbeitenden mit Blick auf das vergangene Jahr als auch das neue Jahr mitgeben? Wie begründest du diese Punkte? Und welche Illustrationen, Beispiele und konkrete Erlebnisse kannst du nennen, um das Gesagte nachvollziehbar zu machen. Dieser Punkt ist besonders wichtig: Kannst du es nicht belegen, frage dich ernsthaft, ob es fair ist, eine Bewertung abzugeben. Denn der schlimmste Fauxpas ist auf die Frage des Mitarbeitenden "Woran machst du das fest?" keine Antwort zu haben. Und falls du es nicht belegen kannst, weil du deine Notizen nicht sauber genug geführt hast, sei redlich und mache sichtbar, dass es ein Eindruck ist, den du schilderst. Und lasse ihn auch fallen, wenn der Mitarbeitende gute Gegenbeweise ins Feld führt.

Langweilig und überraschend zugleich!


"Das Jahresgespräch muss sowohl das langweiligste Gespräch als auch das spannendste Gespräch des Jahres sein für deinen Mitarbeitenden", erläuterte ich vor einiger Zeit im Workshop "Optimale Führungsdialoge".

"Langweilig, weil in der Rückschau nichts überraschen darf, sonst hast du im Jahresverlauf verpasst genug Feedback zu geben. Spannend, weil du gemeinsam motivierende Projekte, Ideen und Entwicklungsfelder festlegen solltest."

Warum sage ich das? Weil die meisten Jahresgespräche an einem fundamentalen Fehler kranken: Sie verbringen zu viel Zeit damit, über Ereignisse zu sprechen, die niemand mehr ändern kann. "Aber was ist mit der Leistungsbeurteilung?", fragst du jetzt vielleicht. Klar, Reflexion und daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen ist wichtig. Aber mach sie knackig! Hand aufs Herz: Wie motivierend ist es, 90 Minuten lang durchzukauen, was vor Monaten passiert ist?

Zukunftsorientierte Gespräche aktivieren, rückwärtsgewandte lähmen.


Ein Teilnehmer in meinem letzten Leadership-Workshop brachte es auf den Punkt: "Seit ich rund 70% der Zeit über Zukunftsperspektiven spreche, gehen meine Mitarbeitenden mit leuchtenden Augen aus dem Gespräch." Genau darum geht's!

Führe das Gespräch so, als wäre es der Auftakt zu einem spannenden gemeinsamen Projekt - denn genau das ist es.

Pro-Tipp: Schick deinen Mitarbeitenden vorab drei kraftvolle Fragen:

  1. "Was war dein größter Erfolg – und was hat ihn möglich gemacht?"
  2. "Welche Fähigkeit möchtest du als nächstes entwickeln?"
  3. "Wie kann ich dich dabei am besten unterstützen?"

Schaue zudem, dass auch das Format spannend und variantenreich bleibt.

Ein Teilnehmer meines Future-Fit-Leadership-Programms hat letztens sein komplettes Jahresgespräch im Gehen durchgeführt. "Walking Performance Review" nannte er das. Seine Erfahrung? "Die Atmosphäre war völlig anders – viel entspannter, kreativer, konstruktiver."

Experimentiere doch auch ein wenig:

  • Verpacke Feedback in Geschichten gemäß der Heldenreise nach Campbell: Welche Herausforderungen hat dein Mitarbeitender als Held gemeistert?
    Anstatt nur über Fakten und Zahlen zu sprechen, könntest du das Gespräch mit einem kurzen Workshop-Element starten: „Lass uns gemeinsam eine Vision für deine Rolle in den nächsten drei Jahren skizzieren."
  • Beginne mit einer leeren Mindmap in der Mitte: „Dein Jahr 2024". Lass den Mitarbeitenden selbst verschiedene Äste ergänzen, wie z. B. „Erfolge", „Herausforderungen" oder „Lernfelder". Und dann erstelle eine für das Jahr 2025 mit Fokus auf "Ziele" und „Wünsche". Du kannst gezielte Fragen stellen, um die Karte zu füllen, und gemeinsam über Verbindungen und neue Potenziale sprechen. Das Visualisieren fördert Kreativität und sorgt dafür, dass das Gespräch nachhaltige Impulse hinterlässt.
  • Dreh den Spieß um: Frag deinen Mitarbeitenden, was du in deiner Führungsrolle besser machen kannst und wo er oder sie Verbesserungspotenziale in der Zusammenarbeit sieht. Kombiniere dies mit einem kleinen Rollentausch: „Stell dir vor, du würdest meine Position übernehmen. Was würdest du anders machen?" So förderst du nicht nur gegenseitiges Lernen, sondern zeigst auch Wertschätzung für die Perspektive deines Gegenübers.

Ja es gibt das perfekte Jahresgespräch!


Das perfekte Jahresgespräch ist kein Monolog, sondern ein Dialog. Es ist keine Beurteilung, sondern eine gemeinsame Reflexion und Planung. Mit den richtigen Techniken und einer offenen Einstellung kann es zu einem Katalysator für Wachstum und Motivation werden.

Denk daran: Das beste Jahresgespräch ist dasjenige, bei dem beide Seiten den Raum mit mehr Klarheit, Motivation und einem konkreten Plan für die Zukunft verlassen.

Wenn du dabei Unterstützung von mir oder meinem Team möchtest, melde Dich gerne jederzeit.

Jetzt anfragen

Bleib verbunden,

dein Sebastian