Haben Sie auch gerade den Eindruck, dass Sie beim Thema KI kaum mehr hinterherkommen? LinkedIn flutet uns täglich mit neuen Programmen, KI-Agenten und GPT-Leitfäden. Bei allen technischen Neuerungen stellt sich jedoch die viel grundlegendere Frage: Was heißt das perspektivisch für mich in meiner Rolle als Mitarbeitender und Führungskraft?

In diesem Beitrag möchte ich Ihnen einen tiefergehenden Einblick in die Transformation der Führung und Zusammenarbeit durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz geben. Bevor wir auf die Leadership-Thesen eingehen, ist es zentral, die unterschiedlichen Arten von KI-Agenten zu verstehen, die bereits heute in Unternehmen eingesetzt werden (und uns täglich auf LinkedIn als der neueste technische Durchbruch verkauft werden).

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Foto © Tara Winstead auf Pexels

Welche KI-Agenten gibt es?


Grundsätzlich lassen sich KI-Agenten in vier Kategorien einteilen, die sich in ihrer Autonomie und Arbeitsweise unterscheiden:

1. Heteronom und manuell:

Diese Systeme reagieren ausschließlich auf direkte Eingaben. Klassisches Prompting, bei dem jede Aktion auf einer expliziten Anweisung des Nutzers basiert, ist ein Beispiel hierfür. Solche Systeme führen keine eigenständigen Aktionen aus, sondern bleiben strikt passiv, bis sie eine klare Anweisung erhalten.

2. Heteronom und automatisch:

Hierbei handelt es sich um Automatisierungstools, die auf vordefinierten Workflows basieren. Die Systeme führen Aufgaben aus, die vom Nutzer im Voraus festgelegt wurden, ohne dabei eigene Entscheidungen zu treffen. Sie sind in ihrer Funktion fest programmiert und reagieren nicht flexibel auf veränderte Umstände. Das wird uns häufig auf LinkedIn angeboten.

3. Autonom und manuell:

Diese Kategorie umfasst spezialisierte KI-Lösungen, wie etwa individuell angepasste Systeme (vergleichbar mit CustomGPT), die über spezifisches Wissen und festgelegte Regeln verfügen. Obwohl sie eigenständiger agieren können, bleiben sie inaktiv, bis sie durch einen Nutzerbefehl aktiviert werden.

4. Autonom und automatisch:

Echte KI-Agenten fallen in diese Kategorie. Sie treffen eigenständig Entscheidungen, handeln basierend auf Zielen und Kontextinformationen und führen Aufgaben durch, ohne dass der Nutzer jeden einzelnen Schritt anstoßen muss. Beispiele hierfür sind Systeme wie Deep Research, AutoGPT oder AgentGPT, die bereits in komplexen Unternehmensprozessen Anwendung finden. Es ist wichtig zu unterscheiden, dass viele der heute als „KI-Agenten“ vermarkteten Systeme lediglich als heteronome, automatische Automatisierungstools fungieren. Ein echter KI-Agent hingegen arbeitet autonom und entlastet Sie wirkungsvoll von Routineaufgaben.

10 Thesen zum AI-Leadership in Human-AI-Teams (HAIT)


Auf Basis dieser technologischen Entwicklungen lassen sich zehn Thesen ableiten, die das zukünftige Führungsverständnis revolutionieren könnten:

These 1: Ohne KI-Skills kein (Führungs-) Job mehr

Die digitale Revolution nimmt eine neue, radikale Wendung: In den nächsten 2-5 Jahren wird sich die Spreu vom Weizen trennen - zwischen Führungskräften, die KI als strategisches Werkzeug beherrschen, und jenen, die den Anschluss verlieren. Es ist keine ferne Zukunftsvision mehr, sondern längst Realität. Erst letzte Woche erfuhr ich aus meinem direkten Umfeld von einem Bewerbungsgespräch für eine hochrangige HR-Position, bei dem nicht etwa die Person mit über zehn Jahren Personalerfahrung genommen wurde, sondern jene Person mit zwei Jahren Erfahrung aber ausgeprägter KI-Kompetenz. Die Botschaft ist unmissverständlich: Wer sich der künstlichen Intelligenz verweigert oder sie nur halbherzig annimmt, wird ersetzt - nicht zwangsläufig durch KI selbst, sondern durch Menschen, die diese beherrschen. Die Frage ist nicht mehr, ob KI deine Führungsrolle beeinflusst, sondern wie schnell du die Kurve kriegst, um relevant zu bleiben.

These 2: Führungskräfte werden demütig Lernende

Wir stehen vor einem Paradigmenwechsel in der Feedback-Kultur: Je höher Führungskräfte in der Hierarchie aufsteigen, desto dünner wird traditionell die Luft für ehrliches Feedback - niemand riskiert gerne Karrierenachteile, indem er dem Chef unbequeme Wahrheiten präsentiert. Doch jetzt tritt ein neuer, furchtloser Kritiker auf den Plan: die KI. Sie konfrontiert Führungskräfte täglich mit ihren Unzulänglichkeiten, Optimierungspotenzialen und blinden Flecken - ohne Angst vor Repressalien, ohne politisches Kalkül, ohne Schmeichelei.

Diese permanente Konfrontation mit der eigenen Fehlbarkeit wird zu einer Wasserscheide: Führungskräfte mit gesundem Selbstbewusstsein nutzen diese Chance zur Weiterentwicklung und übertragen ihre neue Demut auch auf den Umgang mit menschlichen Teammitgliedern. Für Personen mit narzisstischen Tendenzen hingegen wird diese Erfahrung zur existenziellen Bedrohung. Wenn Selbstzweifel keine Option sind, bleiben nur zwei Wege: sich mit der eigenen Not auseinanderzusetzen oder die KI abzuwerten, zu ignorieren und damit einen entscheidenden Wettbewerbsnachteil in Kauf zu nehmen.

Die wahre Führungsstärke der Zukunft zeigt sich nicht in der Illusion der Unfehlbarkeit, sondern in der Fähigkeit, mit der eigenen Unvollkommenheit konstruktiv umzugehen - eine Eigenschaft, die KI uns nun täglich zu trainieren zwingt.

These 3: Führungskräfte als Leitfiguren und Ethik-Coaches im Spannungsfeld von Daten und Werten

Wenn künstliche Intelligenz Entscheidungen trifft, stützt sie sich auf Daten - präzise, effizient, emotionslos. So weit so gut. Doch hier stellt sich eine entscheidende Frage: Wo bleibt die moralische Komponente? Genau das wird ein wichtiges Wirkfeld von Führungskräften in HAIT - in Human-AI-Teams. Sie tragen die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass KI nicht nur effektiv ist, sondern auch ethische Grundwerte wie Menschenwürde, Gleichberechtigung und Fairness berücksichtigt.

Zu theoretisch? Stell dir folgende Szenarien vor: Eine KI berechnet Bonuszahlungen aufgrund von klaren KPIs - wie werden dabei Krankheiten, Elternzeit oder auch solide Ergebnisse in schwierigen Umfeldern berücksichtigt? Oder nehmen wir ein KI-Tool zur automatischen Bewerberauswahl - was, wenn unterschwellige Muster in Lebensläufen zu Diskriminierung oder Benachteiligung führen, z. B. aufgrund von Namen aus Minderheitengruppen?

Herzstück zukunftsweisender KI-Nutzung sind Fragen wie: „Welche Daten sollten wir überhaupt nutzen?“, „Wie stellen wir Entscheidungen im Sinne unserer Unternehmenswerte sicher?” oder „Wie identifizieren wir einen Bias in Algorithmen?” Diese Themen sind keine Randnotizen, sondern entscheidend für einen verantwortungsvollen Einsatz von KI im Arbeitskontext.

Weil Führung in Human-AI-Teams mehr bedeutet als Technik: Sie verlangt nach MMI - menschliche, moralische und integrative Intelligenz als Kompass für die Zusammenarbeit.

These 4: Führungskräfte werden zu Algorithmus-Bastlern

In einer Welt, in der KI zunehmend Entscheidungsprozesse beeinflusst, entwickelt sich eine neue Kernkompetenz für erfolgreiche Führungskräfte: das kritische Verständnis von Algorithmen. Nicht jeder Manager muss zum KI-Experten oder Programmierer werden, wohl aber die Fähigkeit entwickeln, die inhärenten Schwachstellen und Grenzen algorithmischer Systeme zu erkennen.

Wenn eine KI fragwürdige Ergebnisse liefert, müssen Führungskräfte identifizieren können, ob Daten falsch aufbereitet wurden, welche Vorannahmen im System verankert sind oder wo der Algorithmus an seine konzeptionellen Grenzen stößt. Diese Kompetenz - das kritische Hinterfragen und gezielte Optimieren von KI-Systemen - wird in den kommenden Jahren zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor, bevor die künstliche Intelligenz möglicherweise eines Tages klüger wird als wir selbst.

Die Kunst des „Algorithmus-Bastelns“ verbindet technisches Grundverständnis mit kritischem Denken und wird jene Führungskräfte auszeichnen, die KI als Partner und nicht als Gott oder undurchschaubare Blackbox betrachten.

These 5: Führungskräfte werden zu wichtigen Coaches für tiefgehende psychologische Themen

Je mehr KI-gestützte Zusammenarbeit, desto größer der Bedarf an menschlichem Coaching durch die Führungskraft - aber nicht für Fachthemen. Die wahre Herausforderung liegt in der Begleitung der tiefgreifenden psychologischen Auswirkungen der Mensch-KI-Interaktion.

Die neue Führungsrealität konfrontiert uns mit elementaren menschlichen Emotionen: Führungskräfte müssen künftig Mitarbeitende durch die Täler von Scham, Demut und Kontrollverlust begleiten. Was passiert mit der beruflichen Identität und dem Selbstwertgefühl, wenn plötzlich die KI bessere Ideen liefert als der hochqualifizierte Experte? Wie bewältigt ein Team die Erfahrung, dass jahrelang aufgebaute Kompetenzen über Nacht teilweise entwertet werden?

Die psychologische Dimension der KI-Transformation wird zum kritischen Erfolgsfaktor. Führungskräfte müssen ein feines Gespür entwickeln für:

  • Die emotionale Verarbeitung, wenn die KI regelmäßig bessere Performance zeigt
  • Die Begleitung durch Phasen von Kontrollverlust und beruflichen Identitätskrisen
  • Die Entwicklung einer gesunden Human-AI-Team-Kultur, die dem Menschen eine sinnstiftende Rolle erhält
  • Den Umgang mit Gefühlen der Entmündigung durch die ständige Messbarkeit der KI-Kollaboration

Die wirklich erfolgreichen Führungskräfte der KI-Ära werden nicht jene mit der tiefsten technischen Expertise sein, sondern die mit der höchsten emotionalen Intelligenz und psychologischen Führungskompetenz.


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