In einem meiner Workshops zum Thema Führungskommunikation hatte ich eine besonders lehrreiche Erfahrung, die ich gerne mit euch teilen möchte. Es ging um eine Situation, in der eine Führungskraft ein klärendes Gespräch mit einem Mitarbeitenden führen musste, der mehrmals zu spät zur Arbeit erschienen war.
Die Führungskraft, nennen wir sie Sarah, setzte sich mit dem Mitarbeiter, David, zusammen, um das Problem anzusprechen. Sarah begann das Gespräch einfühlsam und erklärte, wie wichtig Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit im Team seien und benannte klar, wann David wo zu spät war. Während Sarah am Anfang noch darauf achtete, dass David Verantwortung für sein Fehlverhalten übernahm, bemerkte ich während des Dialogs immer mehr, wie Sarah das Gespräch entglitt und es nicht mehr darum ging, wie David Pünktlichkeit in Zukunft sicherstellen wolle, sondern was sie alles tun könne, damit es David mit seinem Workload und dem langen Arbeitsweg besser ginge.
Sarah fasste das Gespräch folgendermaßen zusammen: "Okay David, also was ich aus unserem Gespräch mitnehme ist: Du magst gerne einen Tag mehr im Home Office verbringen, die Flyererstellung gerne an jemanden abgeben und beim nächsten Meeting möchtest über das aktuelle Stresslevel im Team sprechen. Passt das so?". David grinste: "Passt so". 1:0 für David, wenn es darum ging, wer nun sein Verhalten ändern sollte. Anstatt klare Erwartungen zu setzen und Verantwortlichkeit zu fördern, bot Sarah nur Unterstützung an, ohne die Notwendigkeit von Veränderungen ausreichend einzufordern.
Ruinierende Empathie: Wenn unser Einfühlungsvermögen dazu führt, dass wir die Wahrheit verschleiern, unangenehme Gespräche vermeiden, Verhalten tolerieren, das unseren Werten widerspricht, oder über unsere eigenen Grenzen hinausgehen.
Was war hier passiert? Sarah hatte vor lauter Empathie ihre eigene Agenda aus den Augen verloren. Brene Brown spricht in diesem Zusammenhang häufig von "ruinierender Empathie". Empathie ist eben nicht immer positiv, vor allem wenn sie dazu führt, dass wir die Wahrheit verschleiern oder unangenehme Gespräche vermeiden. Ruinierende Empathie tritt auf, wenn wir aus einem falsch verstandenen Verständnis für die Gefühle anderer handeln und dabei unsere eigenen Bedürfnisse und Grenzen vernachlässigen. Wir könnten beispielsweise aus Angst vor Konflikten oder Ablehnung Dinge tun oder sagen, die eigentlich nicht unserem eigenen Wohlbefinden entsprechen oder auch den Belangen der Organisation nicht gerecht werden. Anders ausgedrückt: Weil ich dich nicht verletzten will, verletzte ich meine eigenen Bedürfnisse.
Brown erinnert uns daran, dass echte Empathie nicht nur darin besteht, mit anderen mitzufühlen, sondern auch darin, authentisch zu sein und unsere eigenen Grenzen, Bedürfnisse und Ziele ebenfalls zu respektieren.
Empathie braucht Impathie. Ohne Selbstfürsorge keine echte Fremdfürsorge.
Damit wir nicht überempathisch agieren, brauchen wir das Gegenstück der Empathie: die Impathie. Alleine, dass Sie vielleicht dieses Wort gar nicht kennen zeigt, wie verzerrt der Empathiediskurs derzeit geführt wird. Impathie ist die Fähigkeit, sich in sich selbst einzufühlen, die eigenen Emotionen und Perspektiven zu reflektieren, zu verstehen und auch zum Ausdruck zu bringen. Sie erlaubt uns, uns selbst zu hinterfragen, unsere Reaktionen zu analysieren und die Auswirkungen unseres Verhaltens auf andere zu erkennen. Forschungen von Dr. Stefanie Neubrand zeigen, dass Menschen mit höherer Impathie-Ausprägung auch höhere Empathie-Werte angeben. Wer sich selbst spüren und erleben kann, der kann sich auch besser auf die Gefühle anderer einlassen ohne sich dabei selbst zu verlieren.
Handeln wir überempathisch oder ruinierend empathisch vernachlässigen wir unsere eigenen Bedürfnisse, was sich auf lange Sicht immer als nachteilig und wenig tragfähig erweist. Denn auch wenn Sarah diese To-Do's aus dem Gespräch mitnimmt, spätestens wenn sie das Gespräch etwas sacken lässt wird ihr auffallen, dass David keinerlei Verantwortung übernommen hat und die ganze Veränderungsarbeit auf ihren Schultern lastet. Dass Sarah diese To-Do's dann wirklich beherzt verfolgt ist eher unwahrscheinlich. Das zeigt: Ohne Selbstfürsorge keine echte Fremdfürsorge.
Das befruchtende Wechselspiel zwischen Empathie und Impathie macht eine gute Führungskraft aus. Oder anders ausgedruckt: Führungskräfte sind liebevoll penetrant.
Wie immer im Leben braucht es die Balance. Eine Führungskraft tut gut daran das Spiel zwischen Impathie und Empathie zu beherrschen. Sie ist liebevoll penetrant. Die führende Person reicht dem Mitarbeitenden liebevoll die Hand, führt ihn oder sie aber auch an die oftmals schmerzhaften Punkte, die für die Selbst-, Team-, und Unternehmensentwicklung gerade wichtig sind. Doch wann sollte man empathisch agieren und wann impathisch. Hier einige Anhaltspunkte, die mir in der Praxis hilfreich erscheinen. Ich sollte impathisch handeln und sprechen, wenn ich merke, dass:
- Ich es vermeide, klare Erwartungen zu setzen oder ehrliches Feedback zu geben, um Konflikte zu vermeiden oder um "nett" zu erscheinen.
- Ich mich scheue, schwierige Gespräche zu führen, um die Beziehung zu meinen Mitarbeitenden nicht zu belasten, selbst wenn dies zu Missverständnissen, Wertschöpfungsverlusten oder ineffektiver Zusammenarbeit führt.
- Ich meine eigenen Prinzipien oder die Unternehmenswerte vernachlässige, um kurzfristige Harmonie zu wahren, anstatt auf langfristige Ziele und das Wohlergehen des Teams und Unternehmens zu achten.
Ich sollte empathisch handeln oder sprechen, wenn ich merke, dass:
- Es vor allem darum geht die Andersartigkeit des Gegenübers erstmal zu verstehen, seine aus seiner Sicht validen Gründe, Motive und Bedürfnisse zu ergründen oder auch um zu erkennen, ob das Gegenüber überhaupt ein Problembewusstsein teilt oder wie er oder sie sein oder ihr Selbstbild wahrnimmt.
- Wenn es gerade für das Gespräch oder die Zusammenarbeit wichtig ist Vertrauen aufzubauen und eine positive Arbeitsbeziehung zu fördern. Ich kann dann einfühlsam auf die Bedürfnisse und Gefühle meiner Mitarbeitenden eingehen.
- Es vor allem darum geht eine gemeinsame Lösung zu finden, bei der die Umsetzungsbereitschaft und das Commitment des Gegenübers für den Erfolg entscheidend ist.
Sicherlich gibt es noch viele weitere Punkte, die man beherzigen kann. Vervollständigt diese Liste gerne für Euch.
Lasst uns gemeinsam daran arbeiten, sowohl Empathie als auch Impathie zu kultivieren und eine Kultur der gegenseitigen Achtung und Unterstützung als auch Forderung und Verantwortung zu schaffen. Nur dann wachsen die Beteiligten und der nächste Konflikte steht nicht schon ins Haus.
Denn die Überempathie von gestern ist sonst der Konflikt von morgen 😉
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