Zunächst einmal vorab: Die hier beschriebenen Punkte treffen nicht auf alle Speaker zu und es gibt unglaublich gute Kollegen, die einen tollen Job auf Deutschands Bühnen machen. Es sind meist die Kollegen, die wirklich eine Botschaft haben und ehrlich darum bemüht sind Mehrwert zu stiften.
Trotzdem habe ich in letzter Zeit zu viele Auftritte von Speakern gesehen, die mindestens eins – wenn nicht sogar alle drei – Kriterien aufwiesen. Motiviert durch den Artikel im Handelsblatt habe ich versucht meine Gedanken niederzuschreiben.
Viele vorgestellten Ideen sind unterkomplex und nicht prakitkabel
Nehmen wir die in der Speaker-Szene sehr populäre Aussage „Du wirst zu deinem Umfeld. Wenn Du erfolgreich werden willst, dann musst Du dich mit erfolgreichen Leuten umgeben. Wenn du von Verlierern umgeben bist, dann wirst Du ein Verlierer“. Wäre die Welt schön, wenn es so einfach wäre. Kaum habe ich Mark Zuckerberg, Bill Gates und Richard Branson als meine Freunde gewonnen (was schwer genug ist), schon bin ich selbst Millionär? Ist das wahr? Nein! Es ist deswegen nicht wahr, weil es unterkomplex ist.
Menschliche Entwicklung und Veränderung beginnt immer mit der Annahme dessen, was ist. Stellen Sie sich vor ich lege Ihnen einen Stift auf den Schoß und bitte Sie, diesen auf den Boden fallen zu lassen. Was ist das erste, was Sie tun? Sie nehmen den Stift auf. Um also etwas zu verändern ist der erste Schritt Annahme. Es ist schlichtweg falsch zu denken, dass durch positive Affirmation von Dingen, diese irgendwann so eintreten werden. Wenn dem so wäre, würde jeder seinen Traum leben. Die Frage müsste also weniger sein „Wie wirst du erfolgreich?“ sondern eher „Warum bist du es noch nicht?“. Wenn man mit Menschen arbeitet, dann geht es viel häufiger darum Blockaden zu lösen, dann stellt sich das positive Ergebnis meist von selbst ein. Die Abfolge ist also immer Annahme und dann Transformation. Nicht umgekehrt.
Viele Speaker machen inhaltlich den zweiten vor dem ersten Schritt um und wundern sich dann, wenn ihr Publikum stolpert.
„Das ist ja viel zu komplex. Das kann man im Coaching machen, aber das ist doch nicht geeignet für eine Bühne. Da geht es doch um Inspiration!“, möchte der eine oder andere vielleicht einwenden. Damit kommen wir zum nächsten Punkt.
Realitätsferne Inspiration
Bei Reden geht es darum Menschen zu inspirieren, lautet eine weitvebreitete These. Ja und Nein.
Natürlich sollen mich reden inspirieren, aber auf eine realistische Art und Weise.
Nehmen wir nochmal das Beispiel von oben. Ihre Freunde sind Gates, Zuckerberg und Branson. Die Frage ist doch weniger, wer ist mein Umfeld, sondern wie gehe ich mit diesem Umfeld in Resonanz. Fallen ihr Aussagen, ihre Handlungen und ihre Energie auf fruchtbarem Boden. Wenn ja, warum ist das so? Falls nein, welche Gründe gibt es dafür? Derart einfach Inspirationen sind gefährlich. Erst letzte Woche fragte mich ein Seminarteilnehmer was ich davon halte, dass oft gesagt wird, man müsse sein Umfeld wechseln, wenn man nicht so erfolgreiche Freunde hat, um erfolgreich zu werden. Ich fiel fast vom Glauben ab. Die Frage ist doch, was macht das Umfeld mit Dir? Welche Anteile haben deine Mitmenschen, die gut für dich sind, die nichts mit Erfolg zu tun haben? Warum sollte das Leben deiner Freunde deinen Erfolg beeinflussen? Welche Ängste herrschen hier vor? Warum löst ein solcher Satz von einem Redner eine derartige Wirkung in Dir aus? Bist du vielleicht aufgrund anderer Eigenschaften mit deinem Umfeld unzufrieden? Die Frage ist also jene nach Wechselbeziehungen, statt nach statischem Ergebnis.
Ich weiß Prozesse zu kommunzieren ist komplex und aufwendig. Aber wer hat gesagt, dass Inspiration immer Entertainment sein muss? Ich glaube und habe es auch schon selbst erfahren dürfen, dass es da draußen genug Menschen gibt, die Lust daraf haben das Leben wirklich besser zu verstehen und dabei auch bereit sind komplexe Gedankengebäude mitzubauen und daraus Inspiration zu ziehen. Wenn eine Rednernacht zu 70% aus Hand-Heben, Tanzen und positiven Affirmationen besteht, frage ich mich eher, wo hier noch die Inspiration ist.
Verantwortungsverlagerung und teilweise fragwürdiges Menschenbild
Der letzte Punkt ist jener, der mir wirklich am meisten Sorgen bereitet. Viele Reden fokussieren hauptsächlich auf das Individuum. Wenn du es schaffst, liegt es an Dir. Wenn Du es nicht schaffst, ebenso. Das lässt nicht nur extremen Druck enstehen, es ist auch einfach unfair. Das Leben ist ein Mutlivariablenspiel. Mal läuft es gut, mal weniger. Es ist allerdings illusorisch anzunehmen, dass alles, was in unserem Leben passiert auf uns zurückzuführen ist. Es ist eben nicht damit getan ein Visionboard zu malen und schon tritt alles wie gewollt in unser Leben (siehe Punkt eins: Die Frage müsste eher sein, warum tut es das noch nicht?. Das Visionboard ist sozusagen die Intervention, bevor die Diagnose verstanden wurde). Macht euch frei davon. Ja wir sollten jeden Tag unser Bestes geben, aber manchmal ist es auch einfach Glück oder Pech, wie die Dinge laufen. Es liegt nicht immer an Dir.
Richtig wütend werde ich, wenn es dann noch mit einem fragwürdigen Menschenbild gekoppelt wird. Da werden andere Menschen – jene, die natürlich nicht solche Veranstaltungen besuchen – in wenig schmeichelhafte Typen eingeteilt, während man selbst natürlich zur Kategorie „Superstar“ gehört. Natürlich immer mit dem Zusatz, jeder Typ ist gleich gut. Die Botschaft ist aber klar: Umgib dich nicht mit den anderen Typen, wenn Du etwas werden willst.
Ich glaube unsere Gesellschaft braucht nicht noch mehr Spaltung. Sie braucht ehrliche Akzeptanz von Andersartigkeit. Wir müssen Menschen mit offenen Herzen begegnen, statt mit hoch erhobener Nase. Dafür kann die Bühne ein toller Entwicklungshelfer sein, wenn die Botschaft stimmt.
Das ist ein kurzer Auszug aus meine Erfahrungen der letzten Jahre. Nochmal: Es gibt tolle Kollegen, auf die nichts davon zutrifft und von denen es hoffentlich immer mehr werden. Für die anderen ist hier vielleicht eine Anregung für das eigene Tun dabei.Vor Menschen zu reden ist eine verantwortungsvolle Aufgabe. Lasst uns dieser Verantwortung gerecht werden.